Editionsprojekt "Jacob Burckhardt Werke" (JBW)

Kritische Gesamtausgabe in 29 Bänden, herausgegeben von der Jacob Burckhardt-Stiftung, Basel

Das wissenschaftliche Desiderat einer neuen, kritischen Gesamtausgabe der Werke Jacob Burckhardts bestand seit langem: Die frühere Gesamtausgabe in 14 Bänden, die von 1929 bis 1934 erschienen ist, stellte bisher trotz ihrer bekannten Mängel die einzige zitierfähige Edition dar. Die neue Gesamtausgabe sollte den Anforderungen an eine moderne Edition genügen. Die Jacob Burckhardt-Stiftung in Basel erwog seit Mitte der achtziger Jahre das Vorhaben einer neuen Edition. Eine Meinungsumfrage bei 45 in der Burckhardt-Forschung oder Editionswissenschaft tätigen Persönlichkeiten und ein im Juni 1991 durchgeführtes wissenschaftliches Kolloquium bestätigten das wissenschaftliche Erfordernis einer neuen Gesamtausgabe und führten zu einem ersten Konsens über Konzeption, Umfang und Anspruch der neuen Edition. So bereitete die Jacob Burckhardt-Stiftung das Projekt einer neuen, kritischen Gesamtausgabe der Werke Jacob Burckhardts vor. Die Einrichtung einer Planungs- und Koordinationsstelle im April 1992 diente dazu, die verschiedenen Aktivitäten zu koordinieren.

Die neue Edition erscheint seit dem Jahr 2000 bei den Verlagen C.H. Beck in München und Schwabe in Basel in Verlagsgemeinschaft unter dem Titel "Jacob Burckhardt Werke. Kritische Gesamtausgabe"

Editionsplan JBW


Beiträge zu Jacob Burckhardt (BJB)
Parallel zur Kritischen Gesamtausgabe der JBW erscheint – ebenfalls in Verlagsgemeinschaft der Verlage Schwabe und C.H. Beck – eine begleitende Buchreihe "Beiträge zu Jacob Burckhardt" (BJB). Sie soll der Burckhardt-Forschung als Publikationsforum dienen und zugleich solche Manuskripte aus dem Nachlass aufnehmen, die nicht in den klar definierten Rahmen der JBW passen, aber es gleichwohl wert sind, publiziert zu werden. Bisher liegen sieben BJB-Bände vor.

Tagungen und daraus hervorgegangene BJB-Bände:

- Begegnungen mit Jacob Burckhardt. Vorträge in Basel und Princeton zum hundertsten Todestag; Encounters with Jacob Burckhardt. Centenary Papers, hrsg. von Andreas Cesana und Lionel Gossman, Basel: Schwabe; München: C.H. Beck 2004 ( = Beiträge zu Jacob Burckhardt, Bd. 4).

- «Unerschöpflichkeit der Quellen». Burckhardt neu ediert – Burckhardt neu entdeckt, hrsg. von Urs Breitenstein, Andreas Cesana und Martin Hug, Basel: Schwabe; München: C.H. Beck 2007 ( = Beiträge zu Jacob Burckhardt, Bd. 7).

Jacob Burckhardt-Stiftung, Basel
Die Jacob Burckhardt-Stiftung in Basel ist die Besitzerin von Burckhardts umfangreichem Nachlass im Basler Staatsarchiv und Inhaberin der Publikationsrechte. Gemäß ihrer Satzung soll sie insbesondere die Herausgabe der Werke Burckhardts fördern. Sie ist die Herausgeberin der JBW und der BJB. Die Stiftung verfügt nur über geringe eigene Mittel, die jedoch ausschließlich zur Förderung der JBW und BJB verwendet werden.
Eine Arbeitsgruppe der Stiftung begann im Jahr 1991 mit der Ausarbeitung eines ersten Editionsplans sowie erster Editionsrichtlinien. Auf den 1. April 1992 wurde eine Planungs- und Koordinationsstelle eingerichtet. Dieser Stelle kam die Aufgabe zu, die verschiedenen Aktivitäten zu koordinieren und Entscheidungsgrundlagen zu erarbeiten für die Festlegung des Editionsplans, der Editionsrichtlinien sowie der Auswahlkriterien. Zudem stellte sie die Kontakte mit den Herausgebern und Verlagen her. Die Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel übernahm für ein Jahr die Finanzierung dieser Stelle.

Zentrale Redaktionsstelle und Leitung
Im Frühjahr 1993 wurde eine zentrale Redaktionsstelle in Basel eingerichtet, unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Es handelte sich um die Weiterführung der früheren Planungs- und Koordinationsstelle. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Einheitlichkeit der Gesamtedition zu gewährleisten, die Einhaltung der Editionsrichtlinien zu prüfen und eine Schlussredaktion der einzelnen Bände durchzuführen. Die Redaktionsstelle der JBW wird seit dem 1. April 1993 vom SNF finanziert, zurzeit im Umfang einer 1,25 Wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen. Es ist davon auszugehen, dass die Redaktionsstelle bis zum Abschluss der JBW vom SNF finanziert werden wird. Die Redaktionsstelle in Basel ist für die Editionsarbeit wichtig als Kontaktstelle zum Staatsarchiv Basel, in dem der Nachlass archiviert ist, und zur Universitätsbibliothek, in der ein Teil der Burckhardtschen Bibliothek und der Fotosammlung aufbewahrt wird. Sitz des Leiters der Redaktionsstelle ist die Universität Mainz, hier werden auch einige der zum Projekt zählenden Bände ediert.

Wissenschaftliches Werk und Bedeutung Jacob Burckhardts
Jacob Burckhardt (1818–1897) gilt als einer der Gründerväter der Kunstwissenschaft und als prominentester Begründer der Kulturgeschichtsschreibung. Ausgehend von der modernen Erfahrung der Beschleunigung aller Geschichtsprozesse, entwickelte Burckhardt ein historisches Gegenwartsverständnis: Die Frage nach der historischen Genese wird zur Leitfrage der Erklärung der jeweiligen Gegenwart mit ihren spezifischen Vorstellungen von Mensch, Welt und Gesellschaft. Historische Bildung und ein historisch begründetes Gegenwartsverständnis sind folglich kein akademischer Luxus, sondern unentbehrliche Bedingungen moderner Gesellschaften. Der epochale Erfahrungswandel im Europa des 19. Jahrhunderts hat in unserem Zeitalter der Globalisierung insofern eine Parallele, als sich jetzt ein neues Verständnis der kulturellen Bedingungen geltender Vorstellungen von Mensch, Welt und Gesellschaft durchsetzt. Die sich aufgrund des neuen Erfahrungswandels vollziehenden Umbrüche in der gegenwärtigen historischen Kultur- und Kunstwissenschaft – zusammengefasst in Leitbegriffen wie "cultural turn", "iconic turn" und "pictoral turn" – weisen deshalb immer auch auf Jacob Burckhardt und dessen Bedeutung für die Kultur- und Kunstgeschichte zurück.
Als Verfasser des "Cicerone", der "Kultur der Renaissance in Italien" sowie der aus dem Nachlass edierten "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" und der vierbändigen "Griechischen Kulturgeschichte" errang Burckhardt Weltgeltung. Seine Werke sind in die wichtigsten Fremdsprachen übersetzt und finden bis heute eine breite Leserschaft.
Jacob Burckhardt war sich der Bedeutung seiner Werke zwar durchaus bewusst, aber er erkannte seine Aufgabe seit Ende der sechziger Jahre immer weniger im Bücherschreiben, sondern in seiner Wirksamkeit als akademischer Lehrer. Er arbeitete intensiv an und mit seinen Vorlesungsmaterialien, die er kontinuierlich ergänzte und aktualisierte. Seit der Übernahme des kunsthistorischen Lehramtes 1874 legte er umfangreiche Texte, Notizen und Abbildungsnachweise für einen Zyklus kunsthistorischer Vorlesungen an. Das Œuvre der von ihm selbst publizierten Werke ist vergleichsweise schmal: eine kurze Dissertation, eine Reihe von Beiträgen in wissenschaftlichen Zeitschriften und Jahrbüchern, Editorisches und Journalistisches, Reiseskizzen, einige literarische Schriften und Gedichte. Ab 1853 erscheinen seine bekannten Werke von klassischem Rang: "Die Zeit Konstantins des Großen", "Der Cicerone" (1855), "Die Kultur der Renaissance in Italien" (1860). Sieben Jahre später wird – schon beinahe ein Nachzügler und eigentlich contre coeur – "Die Baukunst der Renaissance" publiziert. Noch keine 50 Jahre alt, konzentriert sich Burckhardt auf sein Lehramt an der Universität Basel, auf Vorlesungen und öffentlichen Vorträge. Erst der späte Burckhardt bereitet wieder einige Texte für eine Publikation vor; sie sind jedoch erst posthum erschienen. Die zu seinen Lebzeiten erschienenen Druckschriften haben in acht Bänden Platz und beanspruchen rund 5.000 Druckseiten.
Den wenigen von Burckhardt selbst veröffentlichten Werken steht ein handschriftlicher Nachlass von erstaunlichen Dimensionen gegenüber. Allein seine erhaltenen Briefe füllen in der von Max Burckhardt besorgten kritischen Edition 11 Bände (1949 bis 1994). Der handschriftliche Nachlass lässt ein anderes Burckhardt-Bild erkennen und zeigt den rastlos schreibenden Gelehrten.
Bald nach Burckhardts Tod im August 1897 erscheinen mehrere Werke aus seinem Nachlass: zunächst die "Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien" (JBW 6) und die "Erinnerungen aus Rubens" (JBW 11), sodann von 1898 bis 1902 Burckhardts Vorlesung "Griechische Culturgeschichte" in vier Bänden und im Jahr 1905 das Vorlesungsmanuskript "Über das Studium der Geschichte" unter dem Titel "Weltgeschichtliche Betrachtungen".
Es sind folglich drei Kategorien von Burckhardt-Texten zu unterscheiden:
Zur ersten Kategorie zählen alle Texte, die Burckhardt selbst veröffentlicht hat. Sie weisen einen höheren Grad der Autorisation und Authentizität auf als alle übrigen Texte und besitzen einen eigenen editorischen Status. Es handelt sich um acht der auf 29 Bände angelegten JBW. Die restlichen 21 Bände teilen sich beinahe hälftig in die Gruppe der zweiten und in die der dritten Textkategorie auf.
Zur zweiten Kategorie gehören alle Texte, die posthum erschienen sind, insbesondere die "Weltgeschichtlichen Betrachtungen" und die "Griechische Culturgeschichte", aber auch Nachlasstexte, die erstmals in der früheren Gesamtausgabe veröffentlicht worden sind. Es handelt sich um Texte, die teilweise schwer entstellt sind, einen hohen Bearbeitungsgrad aufweisen und im Rahmen der kritischen Gesamtausgabe wieder in ihre authentische Gestalt gebracht werden müssen.
Die dritte Kategorie schließlich betrifft die wichtigsten Inedita aus dem Nachlass – Texte also, die jetzt erstmals publiziert werden. Ausgehend von der Zahl der Druckseiten handelt es sich um die umfangreichste Textgruppe, die insbesondere Gegenstand des hier skizzierten Projektes ist.
Jacob Burckhardt, wie wir ihn heute kennen und schätzen, ist undenkbar ohne unsere Kenntnis der nachgelassenen Werke und Briefe. Ohne das posthum erschienene Werk hätte Burckhardt niemals seine heutige Weltgeltung erlangt. Und es hat sich bereits gezeigt, dass die im Rahmen der JBW erstmals publizierten Nachlasstexte das Burckhardt-Bild erneut verändern und neben dem Kulturhistoriker den Kunsthistoriker Burckhardt sichtbar werden lassen.

Aufgaben und Ziele der Edition
Die frühere Gesamtausgabe in 14 Bänden (1929 bis 1934) präsentierte die Texte in modernisierter Gestalt, ohne textkritischen Apparat und ohne Sachkommentar und legte unter dem Titel "Historische Fragmente" eine eher willkürliche Auswahl aus dem handschriftlichen Nachlass vor. Die neue Edition der JBW soll Burckhardt als Autor des 19. Jahrhunderts etablieren, und dies verlangt den Rückgang auf den historischen Text, auf den authentischen, ungekürzten, unberührten Wortlaut, und verbietet jegliche Form von Texteingriffen. Damit stand von Anfang an fest, dass die neue Edition eine kritische Ausgabe sein muss. Das Hauptcharakteristikum des kritischen Editionstypus besteht ja gerade in der Aufgabe, den Weg zu einem historischen Verständnis eines Autors und dessen Schriften zu eröffnen.
Unbestritten war, dass nicht alle Anforderungen, denen eine historisch-kritische Edition zu genügen hat, im Falle einer Burckhardt-Ausgabe erfüllt werden sollen. Der historisch-kritische Editionstypus hat seine Berechtigung für die großen Ausgaben unserer Klassiker der Literatur und Philosophie, nicht jedoch für die Edition wissenschaftlicher Texte. Allein schon der Vollständigkeitsanspruch, dieses typische Merkmal historisch-kritischer Editionen, ließe sich angesichts des beträchtlichen Umfangs von Burckhardts Nachlass in keiner Weise rechtfertigen.
Die von Burckhardt selbst veröffentlichten Schriften erfordern wegen ihres hohen Autorisationsgrades und ihres besonderen editorischen Status eine andere Editionsform als die Publikationen aus dem Nachlass. So orientiert sich etwa die Edition der ersten Gruppe (JBW 1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 9) am Prinzip "erster Hand": Grundlage bildet demnach stets der Erstdruck. Orthographie und Interpunktion werden konsequent übernommen. Textvarianten der späteren, zu Lebzeiten Burckhardts erschienenen Auflagen sowie Eintragungen in seinen Handexemplaren werden im Apparat verzeichnet. Demgegenüber ist für die Edition der Nachlasstexte das Prinzip "letzter Hand" insofern maßgebend, als diese Texte in der Form der letzten Bearbeitung durch Burckhardt wiedergegeben werden.
Die Edition der Nachlasstexte als Hauptgegenstand des vorliegenden Projektantrags stellt eine besondere editorische Herausforderung dar. Dabei kommt den Vorlesungsmanuskripten eine zentrale Bedeutung zu, denn sie bilden den Hauptteil der für die Publikation vorgesehenen Nachlasstexte. Es handelt sich um Burckhardts Materialsammlung, um die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Arbeit, die er thematisch den einzelnen historischen und kunsthistorischen Hauptvorlesungen zuordnete.
Burckhardt hat nur den geringeren Teil der sogenannten Vorlesungsnotizen auch tatsächlich als unmittelbare Vorlesungsunterlage genutzt. Der größere Teil stellt Ergebnisse seiner durch die Jahrzehnte gehenden Beschäftigung mit der Thematik dar, mit den Quellen, den Abbildungen und mit der Fachliteratur der Zeit.
Nicht die Rekonstruktion der Vorlesung, sondern die authentische Wiedergabe der Vorlesungsmaterialien – neben den Texten, Exzerpten, Notizen etc. spielen die Abbildungsnachweiser und Burckhardts Fotosammlung ein zentrale Rolle – bildet somit das Editionsziel für diese Nachlassbände.
Die JBW soll der Fachforschung als Grundlage dienen und zudem auch die Interessen einer breiteren Leserschaft respektieren, denn Burckhardt ist einer der wenigen, ja vielleicht sogar der einzige deutschsprachige Historiker des 19. Jahrhunderts, der als Autor aktuell geblieben ist: Burckhardt zu lesen, bringt auch heute Einsichten und intellektuellen Gewinn und bereitet immer von neuem wieder Vergnügen.

Editionsrichtlinien
Die Editionsgrundsätze in der Fassung vom 30.11.1995 geben die allgemeine Leit- oder Richtlinien, welche die – auch von den Verlagen geforderte – Einheitlichkeit der JBW gewährleisten sollen. Aufgrund der Erfahrungen der ersten JBW-Bände wurden die Editionsgrundsätze am 30.6.2000 aktualisiert. Eine Tagung der Editorinnen und Editoren in Cortona vom 13. bis 17. Juni 2001 diente der Überprüfung der Editionsrichtlinien. Es stellte sich heraus, dass sich diese Richtlinien in hohem Maße bewährt haben und keiner größeren Überarbeitung bedürfen. Im Zuge der Edition der Nachlassbände erfolgte 2009 eine lediglich auf Details begrenzte Aktualisierung der Editionsrichtlinien.