Das Konzept des Projekts wurde von den Kooperationspartnern Univ.-Prof. Dr. Andreas Cesana, Studium generale und Philosophisches Seminar der Universität Mainz, Univ.-Prof. DDr. Michael Fischer, Fachbereich Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Universität Salzburg, und Prof. Dr. Dr. h.c. Kurt Seelmann, Abt. Rechtsphilosophie und Strafrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel durch zahlreiche Vorarbeiten erarbeitet.
Tagungen und daraus hervorgegangene Publikationen:
- Fischer, Michael (Hrsg): Kunst als Marke europäischer Identität, Subjekt und Kulturalität, hrsg. von Andreas Cesana, Michael Fischer und Kurt Seelmann, Band 3, Frankfurt a. M. 2013.
- Fischer, Michael; Seelmann, Kurt (Hrsg.): Körperbilder. Kulturalität und Wertetransfer, Subjekt und Kulturalität, hrsg. von Andreas Cesana, Michael Fischer und Kurt Seelmann, Band 2, Frankfurt a. M. 2011.
- Fischer, Michael (Hrsg.): Die Kulturabhängigkeit von Begriffen, Subjekt und Kulturalität, hrsg. von Andreas Cesana, Michael Fischer und Kurt Seelmann, Band 1, Frankfurt a. M. 2010.
Umgang mit kultureller Pluralität. Respekt, Anerkennung und Grenzen? - Tagung im Rahmen des Forschungsprojekts "Kulturalität und Subjekt"
Andreas Cesana (Mainz), Michael Fischer (Salzburg) und Kurt Seelmann (Basel), Wintersemester 2010/2011
Anlass für das Projekt
Vor allem die von den Neurowissenschaften angestoßene Debatte über die Willensfreiheit hat eine öffentliche Kontroverse ausgelöst, die fasziniert, aber auch polarisiert. Für die Hirnforschung gilt die Freiheitserfahrung, die unsere Entscheidungsprozesse begleitet, als irreführend. Bewusstseinsphänomene sind nach dieser Ansicht kausal determiniert. Für den freien Willen gibt es keinen Platz. Daraus folgt, dass das, was die mentale, innere Erfahrung bezeugt, keine Gegebenheit ist, sondern ein soziales Konstrukt, das kulturell gelernt und sozial eingeübt wird, in kulturell begrenzten Räumen und Traditionen. Welch einen dramatischen wissenschaftlichen Wandel bedeutet das für die traditionelle Anthropologie, die ja die Grundlage aller Sozialwissenschaften ist. Für viele galt diese neue Erkenntnis als Provokation (wie einst Darwins Erkenntnisse) durch die Hirnforschung und führte zu zahlreichen hoch interessanten Stellungnahmen von rechts- und sozialwissenschaftlicher sowie geistes- und wirtschaftswissenschaftlicher Seite. Diese Kontroverse verdeutlicht, dass in hohem Maße unser Selbstbild und damit auch unsere gesellschaftliche und kulturelle Identität betroffen sind. Umso stärker wirkt sich das Defizit aus, dass diese Debatte bestenfalls als innerkulturelle geführt wird und die interkulturelle Perspektive weitgehend ausgeklammert wird. Genau dieses Defizit war der Anlass eines engagierten Kreises, ein derartiges Forschungsvorhaben zu überlegen (Andreas Cesana, Universität Mainz, Leiter des Studium generale/Kurt Seelmann, Universität Basel, Beauftragter zum Aufbau des Ethikkompetenzzentrums der Universität Basel). Die Analyse der Selbsterfahrung der Freiheit (sei es von Personen oder Institutionen) zeigt die kulturelle und die historische Bedingtheit (Kulturalität) und ihre historische Formung auf. Mit der Freiheitserfahrung eng zusammenhängende Phänomene (Verantwortung, Schuld, Schuld- und Handlungsfähigkeit etc.) wie auch Erfahrungen der Unfreiheit (Schicksal, Zufall, Bestimmung, Konventionen, Gewalt etc.) bestimmen unser Leben (zumindest nach unseren Vorstellungen). Aber die durch die Naturwissenschaften neu aufgeworfene Fragestellung verlangt von den Sozialwissenschaften einen neuen, durchdachten Zugang zum Freiheitsproblem verarbeitet werden. Dies könnte gleichzeitig ein wesentlicher Beitrag zur Ursachenanalyse interkultureller Kommunikationsschwierigkeiten sein. und zur kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Bewältigung der Globalisierung. Das Vorhaben fördert interkulturelle Kompetenz und hat einen ausgeprägten Praxisbezug, insbesondere aufgrund seiner Relevanz für Ethik, Rechtsverständnis und Rechtspraxis.
Problemstellung
Die Analyse der gegenwärtigen Kontroverse über Willensfreiheit zeigt trotz zunehmender Verästelung und Vielschichtigkeit der Diskussion eine Konfrontation zweier unvereinbarer Hauptpositionen. Ungeachtet aller Anstrengungen, vereinbare Konzepte herzustellen, und trotz diffizilerer Argumente und Gesichtspunkte ist die Inkommensurabilität eben die radikale Unvereinbarkeit der beiden Grundpositionen: Es handelt sich um die Konfrontation von zwei komplementären, aber einander widersprechenden Beschreibungssystemen. Die naturwissenschaftlich argumentierende Position erklärt den freien Willen als Selbsttäuschung, entgegen aller Evidenz der in der Selbsterfahrung bezeugten Freiheit. Die Gegenposition erklärt gerade diese Evidenz der je eigenen Freiheitserfahrung für unhintergehbar: Jeder Mensch erfährt sich selbst als freien und autonomen Akteur, der jederzeit sich auch anders entscheiden könnte. Diese Gewissheit, die aus dem Zeugnis der Selbsterfahrung hervorgeht, hält die Gegenposition der Freiheitsautonomie für vertrauenswürdiger als die Argumentation der neurowissenschaftlichen Position, die den Täuschungscharakter der Freiheitserfahrung nicht direkt beweisen kann, sondern ihn aus der Tatsache ableitet, dass Willensfreiheit den Prinzipien der naturwissenschaftlichen Erkenntnisform widerspricht. Die Diskussionslage ist, trotz mancher Versuche zur interdisziplinären Annäherung, aporetisch. Von Seiten der Neurowissenschaften sind gewiss noch zahlreiche neue Erkenntnisse zum Thema zu erwarten, die allerdings nicht in der Lage sein werden, dem Zeugnis der Selbsterfahrung seine Evidenz zu nehmen. Somit können nur von Seiten der Sozial (Kultur)wissenschaften weiterführende Beiträge geleistet werden, indem sie neue Einsichten für die Beurteilung je eigener Freiheitserfahrung liefern. Insbesondere der interkulturelle Vergleich ist hier ein viel versprechender Ansatz. Der Leitgedanke des interkulturellen Forschungsansatzes besteht in der Einsicht, dass es unmöglich ist, die eigene Identität zu bestimmen, ohne sie mit anderen zu konfrontieren. Ebenso ist die historische und kulturelle Situierung der Formen und Muster unseres Erfahrens, Erlebens und Denkens nur dadurch zu bewerkstelligen, dass sie den Formen und Mustern kulturfremden Erfahrens, Erlebens und Denkens gegenübergestellt werden.
Forschungsziel und methodischer Ansatz
Erwartete Ergebnisse sind, dass die Reichweite und Überzeugungskraft der erarbeiteten Konzepte und die daraus abgeleiteten Diskussionen sich als kulturell begrenzt herausstellen. Diese Erfahrung schärft den Blick für kultureigene Bedingtheiten und Vorurteile. Als selbstverständlich geltende Prämissen müssen hinterfragt werden, um in einer globalisierten Welt der europäischen Interessen die sie bildenden Denksysteme und kategorialen Apparate flexibel und gezielt verwendet zu können. Dabei werden vergleichbare Themen in unterschiedlichen kulturellen Traditionen miteinander verglichen in der Absicht, sie in ihrer jeweiligen kulturellen Bedingtheit zu begreifen. Die einzelnen Untersuchungen werden mit den bestehenden wissenschaftlichen Methoden der beteiligten Disziplinen durchgeführt. Erkenntnisleitend ist die Vorstellung, dass nur in der Auseinandersetzung mit dem jeweils Kulturfremden das Kultureigene in seiner Eigenart und in seiner Bedingtheit erkannt werden kann. Das Vorhaben stützt sich in den einzelnen Untersuchungen sowohl auf empirische Methoden, quantitativ und qualitativ als auch auf hermeneutische Methoden. Was die Originalität betrifft, so r liegen unseres Wissens bisher noch keine Untersuchungen vor, die im Rahmen einer interkulturellen Analyse Kulturalität und Freiheitserfahrung in Beziehung setzen und die Folge.
Wissenschaftliche Bedeutung
Aufgrund seiner transdisziplinären und internationalen Ausrichtung fördert das Projekt die interkulturelle Kommunikation und das gegenseitige Verständnis für divergierende Ansätze und Prämissen wissenschaftlicher Forschung. Das Projekt gibt Anstöße für die Auseinandersetzung mit dem neuen Forschungsthema der kulturellen Konstruktion von Freiheitserfahrung, bietet Diskussionsforen und macht die Forschungsergebnisse möglichst umfassend und zeitnah zugänglich.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung
Die globale Wirtschaft ist immer mehr auf die Grundlagenforschung im Bereich interkultureller Beziehungen angewiesen. Das Projekt versteht sich als Beitrag dazu. Es sieht seine Aufgabe darin, mögliche Konfliktfelder zu identifizieren und Probleme zu entschärfen, die dadurch entstehen, dass das westliche und global gewordene Wirtschaftsverständnis im gegenwärtigen Weltbinnenmarkt auf kulturell bedingte Ansichten und Vorstellungen, Strategien und Konzepte stößt, die mit den eigenen inkommensurabel sind. Das Projekt dient dazu, Missverständnisse im kulturellen Prozess transparent zu machen, die Kommunikation zu verbessern und funktionales, effizientes Handeln in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu ermöglichen. Fragen der Freiheitserfahrung sind von zentraler Bedeutung für das Strafrecht, für Rechtsprobleme wie den Schutz des Geistigen Eigentums und insgesamt für die Rechtssicherheit sowohl innerhalb einer Gesellschaft als auch in der Begegnung mit anderen Gesellschaftsordnungen. Dabei zielt das Projekt nicht einfach auf die Feststellung kultureller Unterschiede, sondern sucht in Konfliktfällen zu eruieren, ob es für westliche Kategorien und Standards funktionale Äquivalente in anderen kulturellen Traditionen gibt.