Menschenrechte – Die vorläufig letzte Utopie der Welt?

Der folgende Text ist ein studentischer Bericht zum Vortrag von Prof. Dr. Jan Eckel und ist im Rahmen eines GLK-Lehrprojekts des Studium generale der JGU entstanden. Er stellt keine offizielle Äußerung des Studium generale dar.

Menschenrechte – Die vorläufig letzte Utopie der Welt?

Von Karolin Mareike Joppich

Der dritte Vortrag der Ringvorlesung des Studium generale zum Thema „Menschenrechte“ der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, gehalten von Prof. Dr. Marie-Luisa Frick, trägt den Titel „Was bedeutet das Faktum der Wertevielfalt für den universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte?“. Der Vortrag thematisiert die Frage, wie dynamisch sich Menschenrechte denken lassen und wie viele Kompromisse zwischen unterschiedlichen Werthaltungen sie zulassen. Frick ist Assoziierte Professorin am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck und eine renommierte Expertin: Im Wintersemester 2016 war sie Visiting Fellow am Human Rights Program der Harvard Law School.

„Menschenrechte sind die vorläufig letzte Utopie der Welt“, zitiert Frick eine Kollegin. Die Utopie einer heilen Welt mit Menschenrechten, die alle vertreten und die für alle gelten, die alle gleichermaßen teilen und an die sich alle bereitwillig halten. Die Utopie einer Welt, in der ein friedvolles Miteinander herrscht und es keine divergierenden Auslegungen, Instrumentalisierungen und Missbräuche der Menschenrechte gibt. Eine Utopie, da die heutige Realität anders aussieht. Diese ist geprägt von Wertekonflikten, denn es gibt „keinen Wert, der nicht einem anderen als Unwert gilt“, so Frick. Doch wie damit umgehen, mit dieser Wertevielfalt? Denn verstehen wir Vielfalt nicht als Mehrwert und sehen Buntheit als einen Grundwert an? Doch was bedeutet die Wertevielfalt für den universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte?

Denn: „Menschenrechte beanspruchen überall und für alle zu gelten“, betont Frick. Doch Menschenrechte sind auch immer von Wertekonflikten und divergierenden Ansichten betroffen. Als Beispiel hierfür führt Frick die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948 an. Diese bezeichnet sie als „historische Geburtsstunde der Menschenrechte“ und umreißt die unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der Menschenrechte, wie beispielsweise in Bezug auf das Recht auf Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit. Aufgrund der Offenheit bezüglich möglicher Auslegungen stellt sie die Frage, ob hier nicht eher von einem „Scheinkonsens“ gesprochen werden kann. Darüber hinaus zeigt Frick unterschiedliche Verständnisse der Menschenrechte und rivalisierende Menschenrechtsverträge am Beispiel der Afrikanischen Charta der Rechte der Menschen und der Völker (1981), der ASEAN Menschenrechtserklärung (2012), der Arabischen Charta der Menschenrechte (2004) und der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam (1990) auf. Frick beschäftigen hierbei die folgenden Fragen: „Wie geht man mit den hierdurch entstehenden Konflikten um? Welche Konflikte stellen sich hier ganz konkret und wie kann man sie einordnen? Sprechen wir hier von einer Wertevielfalt oder nicht doch eher von einer Wertekonkurrenz?“

Zur Beantwortung dieser Fragen problematisiert Frick die beiden sich gegenüberstehenden philosophischen Lösungsmöglichkeiten, die sich mit der Frage nach dem universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte beschäftigen: den Dogmatismus und den Kulturrelativismus. Die Grundaussage des Dogmatismus ist, führt Frick aus, dass es einen universalen Geltungsanspruch der Menschenrechte gibt und diese für alle verbindlich sind, ungeachtet dessen, wie die individuellen Werte sich darstellen. In Bezug auf den Dogmatismus kritisiert Frick das Fehlen einer Rechtfertigungsbasis, denn: „Worauf beziehe ich mich denn selbst, wenn ich so etwas von anderen fordere? Worin haben diese Werte ihren Bestand und was ist ihre Quelle?“ Sie führt aus: „Denn nicht alle Wertekonflikte verschwinden, wenn alle über die gleichen Fakten verfügen.“ Hieraus entsteht für Frick die Frage: „Wer irrt sich denn dann?“, die sie mit „im Zweifelsfalle immer die anderen“ beantwortet. Die Grundaussage des Kulturrelativismus hingegen ist, so Frick, das Bestehen unterschiedlicher Werte, weswegen niemand dazu gezwungen werden kann „diese abzulegen und zu den Menschenrechten zu konvertieren. Stattdessen müssen diese Werte respektiert werden.“ Frick kritisiert die kulturrelativistische Position, da das Faktum der Wertevielfalt genauso wie das Faktum der Wertekonkurrenz kein Beweis dafür ist, dass es keine allgemeingültigen Menschenrechte geben kann. Insofern sich diese Menschenrechte nicht als absolut setzen, sondern als Ergebnisse eines Dialogs und Aushandlungsprozesses, als „menschliche Produkte des Wertschätzens“ verstanden werden. Zudem muss der Kulturrelativismus sich selbst mit relativieren, erläutert Frick, denn „die Pflicht andere Kulturen zu tolerieren unter allen Umständen“, beinhaltet wiederum einen eigenen Wert. Darüber hinaus stellt Frick die Frage nach den Grenzen dieser Toleranz.

„Beide Positionen haben ihre Schwächen“, betont Frick, „doch wie können sie zusammen gebracht werden?“ Sie halt ein Plädoyer für eine Synthese und einen Mittelweg dieser beiden Ansätze: den Relativen Universalismus. Dieser beinhaltet das Verständnis, dass „Menschenrechte immer wieder sozial ausgehandelt und neu interpretiert und angewendet werden. Sie sind Menschenwerk. Sie haben dennoch universalen Anspruch, da sie Menschenrechte sind und von allen und für alle Menschen zu beachten sind. Dennoch sind sie keine absoluten Normen, sie sind Produkte der Einigung und der Übereinkünfte, die sehr allgemeine Normen und Prinzipien enthalten.“ Sie führt das Beispiel des Rechts auf Leben an, denn dieses muss weiterhin gedeutet und angewendet werden, so sagt es nicht direkt etwas über Schwangerschaftsabbrüche, Todesstrafe oder das Recht auf Essen aus.

Aber: „Sollte oder kann es rote Linien geben, die diesem Relativen Universalismus Grenzen geben?“ Frick plädiert dafür, zu versuchen, aus der Idee der Menschenrechte selbst solche roten Linien zu entwickeln, gerade wenn systematisch Kollektivinteressen gegenüber individuellen Interessen überwiegen. Sie tritt dafür ein, verschiedene Perspektiven als legitim anzuerkennen und einen offenen und transparenten Dialog um diese „heißen Eisen“ zu führen. Denn so Frick: „Konflikte sind es wert, ernst genommen zu werden, reflektiert zu werden und auch ausgefochten zu werden. Sie verflüchtigen sich nicht im Zeitverlauf, sondern verstärken sich.“

Zum Abschluss ihres Vortrags formuliert Frick vier Thesen, die ihre Argumentation zusammenfassen: „Wertekonflikte begleiten Menschenrechte seit Anfang an und haben an Bedeutung dazugewonnen.“ - „Der universale Geltungsanspruch der Menschenrechte ist nicht angewiesen auf moralische Absolutheitsansprüche.“ - „Wertevielfalt ist nicht gleich Wertekonkurrenz. Entscheidend ist, menschenrechtliche Wertekonflikte zu identifizieren, zu verstehen und zu gewichten.“ - „Ein Relativer Universalismus kann als Mittelweg dienen zwischen Relativismus und Dogmatismus.“

Die an den Vortrag anschließende Diskussion mit Frick beschäftigt sich unter anderem mit den Fragen, an welchen Wertevorstellungen diese „roten Linien“ festgemacht werden können, wie der Problematik der Instrumentalisierung von Menschenrechte entgegengewirkt werden kann und wie konkrete Handlungsmöglichkeiten aussehen könnten.

Bleiben Menschenrechte also eine Utopie? Der offene Dialog und die Auseinandersetzung mit Wertekonflikten bezüglich der Menschenrechte - die als für alle gültig gedacht werden und möglichst viele verschiedene Perspektiven miteinander vereinbaren - kann als ein Versuch verstanden werden, sich dieser Utopie anzunähern. Dennoch bleibt die Erreichung dieser Utopie aus heutiger Sicht in einiger Entfernung.