Interdisziplinäre Forschung – Forschung zur Interdisziplinarität

Die interdisziplinäre Forschungs- und Lehrbereiche des Studium generale konzentrieren sich auf Interdisziplinarität und Grundthemen der Philosophie, Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte, Kulturwissenschaften und Interkulturalität.

Im Arbeits- und Forschungsbereich "Interdisziplinarität" stehen wissenschaftstheoretische Reflexionen über Wissen, Orientierung, Bildung, inter- und transdiziplinäre Ansätze im Zentrum. Zudem werden praxisorientierte Lehr- und Lernkonzepte zur Vermittlung interdisziplinärer Kompetenz entwickelt. Der Arbeits- und Forschungsbereich "Wissenschaftliche Grundlagen und Grundkompetenzen" beschäftigt sich mit der thematischen Erschließung und der didaktischen Aufbereitung von vier fächerübergreifenden Schwerpunkten "Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis", "Argumentation, Logik, Rhetorik", "Grundfragen der Ethik" und "Kultur und Kulturbegegnung". Während bei den beiden ersten grundsätzlicher ausgerichteten Themen die Inhalte und zentralen Aspekte fester umrissen sind, spielen bei den Fragen der Ethik und der Kulturbegegnung aktuelle Entwicklungen und Debatten in Wissenschaft und Gesellschaft eine größere Rolle.

Arbeits- und Forschungsbereich "Interdisziplinarität"

Beim Arbeits- und Forschungsbereich "Interdisziplinarität" handelt es sich weniger um das Betreiben interdisziplinärer Forschung zu verschiedenen Themenfeldern, sondern vor allem um grundlegende Forschung zum Problemfeld "Interdisziplinarität" und damit einhergehend zur "Transdiziplinarität" sowie um die Erarbeitung von Konzepten zur Vermittlung interdisziplinärer Kompetenz. Zudem werden Aspekte wie Information, Wissen, Orientierung und Bildung als traditionelle Aufgabenfelder des Studium generale einbezogen.

Der Begriff "Interdisziplinarität" hat vergleichsweise spät Eingang in die wissenschaftlichen Diskussionen gefunden, und zwar im Laufe der 1960er Jahre. Orientiert am Vorbild des Institute for Advanced Study in Princeton hat im Jahr 1966 die neu gegründete Universität Bielefeld ein "Zentrum für interdisziplinäre Forschung" (ZiF) eingerichtet. Dieser Schritt war gut begründet. Denn in der Forschung hatten immer mehr jene Gebiete Bedeutung gewonnen, die sich über die herkömmlichen Disziplinengrenzen hinwegsetzten und zwischen den Fächern arbeiteten. Das neue Bielefelder Zentrum sollte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenführen, um gemeinsam über einen längeren Zeitraum eine Problemstellung zu bearbeiten.

Interdisziplinarität als Folge fächerübergreifender Forschung schafft einen Mehrwert an Erkenntnis, indem das, was eine Disziplin zu einem bestimmten Problemfeld zu sagen hat, durch die Sicht anderer Disziplinen erweitert und ergänzt, modifiziert und relativiert oder auch präzisiert werden kann. Interdisziplinarität bewirkt dadurch eine Erweiterung des wissenschaftlichen Horizonts, die anders nicht zu realisieren ist. Interdisziplinarität erlaubt es, die eigene und vertraute Vorgehensweise und den eigenen Standpunkt in einem ganz neuen Licht zu sehen.

Fachkompetenz ist eine zwar notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung für die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Interdisziplinarität ist mehr als eine Organisationsform wissenschaftlicher Lehre und Forschung, denn der Umgang mit Interdisziplinarität ist primär eine an die Person gebundene Kompetenz, die immer schon vorausgesetzt ist, wenn Dialog und Zusammenarbeit über die Fachgrenzen hinaus erfolgreich sein sollen.

Interdisziplinarität erfordert eine Erweiterung der wissenschaftlichen Wahrnehmungsfähigkeit über die Grenzen des eigenen Fachgebiets hinaus. Sie ist eine Kompetenz, die der Schulung und Einübung bedarf und die sich nicht einfach von selbst einstellt, sobald sich Personen unterschiedlicher Fachrichtungen zusammentun. Aus diesem Grund bleibt alles Diskutieren über Interdisziplinarität unverbindlich, solange nicht konkrete Schritte unternommen werden, um diese interdisziplinäre Befähigung zur fächerverbindenden Zusammenarbeit zu fördern. Dabei führt die Aneignung dieser Kompetenz nicht nur über den Weg der Fachausbildung und Spezialisierung, sondern unausweichlich auch über den Weg einer interessierten, neugierigen und offenen Beschäftigung mit anderen Disziplinen.

Die Rede von interdisziplinärer Kompetenz ist jung; sie kam erst in den 90er Jahren auf. Und kaum ein Autor versäumt es, darauf hinzuweisen, dass interdisziplinäre Kompetenz selbstverständlich disziplinäre Kompetenz voraussetzt. Dies ist zweifellos richtig. Problematisch ist allerdings, dass alle Rufe nach Interdisziplinarität sich bis heute fast ausschließlich auf die wissenschaftliche Forschung beziehen und nicht auf die universitäre Lehre.

Wenn es jedoch interdisziplinäre Kompetenz gibt und wenn sie für wichtig gehalten wird, dann muss sie, weil sie eine Fähigkeit und ein Können ist, auch eingeübt und trainiert werden. Da die Forschung bereits vielfach interdisziplinär arbeitet, ist es eine fraglos wichtige Aufgabe, den Studierenden wenigstens ein Stück weit interdisziplinäre Erfahrung und Kompetenz zu vermitteln. Im Zeitalter der Globalisierung sollte die interdisziplinäre Kompetenz zudem eine Ergänzung in Gestalt der interkulturellen Kompetenz erfahren - dieser Forderung tragen weitere Arbeitsfelder des Studium generale Rechnung.

Arbeits- und Forschungsbereich "Wissenschaftliche Grundlagen und Grundkompetenzen"

In diesem Tätigkeitsbereich stehen die wissenschaftliche Erschließung von grundlegenden Problemfeldern und die Entwicklung von Lehr- und Lernkonzepten zur Vermittlung von fächerübergreifenden Kompetenzen im Mittelpunkt. Wie Wissenschaft tatsächlich funktioniert und worin ihre Grundlagen und Voraussetzungen bestehen, soll anhand der vier Bereiche "Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis", "Grundfragen der Ethik", "Kultur und Kulturbegegnung" sowie "Argumentation, Logik, Rhetorik" erarbeitet und Studierenden aus unterschiedlichen Fächern vermittelt werden.

Zudem soll gezeigt werden, dass die Analyse der Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis auch mit einer Grundlagendebatte verknüpft ist. Denn die Wissenschaften sind komplexer, als die wissenschaftstheoretischen Modelle suggerieren. Auch im Bereich der Grundlagenanalyse der Wissenschaften gibt es Schulen, Richtungen und Tendenzen sowie historische als auch kulturelle Differenzen. Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsgeschichte gehören somit zu den grundsätzlichen Arbeitsbereichen des Studium generale.

"Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis"

Dieser Bereich soll in die Selbstreflexion von Wissenschaft einführen und aufzeigen, auf welchen elementaren theoretischen und methodologischen Grundlagen und Prämissen "Wissenschaft" bzw. das "wissenschaftliche Erkenntnisideal" beruhen. Es soll ein Basiswissen vermitteln, das zur fächerübergreifenden Kommunikation befähigt. Dabei wird sich die Grundlagenanalyse an einer Reihe von "Leitbegriffen" orientieren wie beispielsweise "Rationalität", "Kausalität", "Empirie", "Axiom", "Theorie", "Hypothese" oder "Hermeneutik", und sie wird sich mit Fragen auseinandersetzen wie beispielsweise "Was heißt, etwas wissenschaftlich zu erklären?", "Worin bestehen die Grenzen des wissenschaftlichen Weltbildes?" oder "Was können wir aus der Wissenschaftsgeschichte lernen?"

Es versteht sich von selbst, dass die durch solche "Leitbegriffe" bezeichneten Grundlagen sich weder eindeutig noch verbindlich, noch abschließend definieren lassen. Es soll vielmehr aufgezeigt werden, dass sie nicht eindeutige Sachverhalte benennen, sondern vielschichtige Problemstellungen. Wir erkennen dadurch, dass 'die' Wissenschaft wie auch jede ihrer einzelwissenschaftlichen Disziplinen auf durchaus komplexen und schwierig zu bestimmenden Grundlagen beruhen. Diese allgemeinen Grundlagen sollen hier herausgearbeitet und in ihrer Problematik aufgezeigt werden. Diese Aufgabenstellung ist Disziplinen übergreifend, da sie zwar jede Disziplin betrifft, aber jede in anderer Weise. Es geht somit auch darum, die Grundlagen der jeweils eigenen Disziplin vor dem Hintergrund der allgemeinen Grundlagen von Wissenschaft zu erkennen und zu analysieren.

"Argumentation, Logik, Rhetorik"

Die interdisziplinäre Erarbeitung dieser Thematik geht von der Einsicht aus, dass Grundkenntnisse der formalen Logik in jeder wissenschaftlichen Tätigkeit unentbehrlich sind. Denn die Logik erhebt den Anspruch, die Regeln zwingender Folgerichtigkeit des Denkens zu lehren. Sie kann uns dabei helfen, Folgerungen und Argumentationen auf ihre Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Die Gültigkeit der Logik bleibt freilich auf den Bereich des Formalen beschränkt. Hier zeigt sich eine grundsätzliche Grenze, denn formallogische Korrektheit bildet bloß eine Voraussetzung, aber noch keine Garantie für die sachliche Richtigkeit.

Ebenso grundlegend sind Kenntnisse des vernünftigen Argumentierens, also des Überzeugens mit rationalen Mitteln. Darin unterscheidet sich das Argumentieren vom bloßen Behaupten, Informieren, Befehlen oder Predigen. Streitfragen sollten in einer aufgeklärten Gesellschaft mit rationalen Mitteln entschieden werden; dies verlangt zum einen Kompetenz im Umgang mit Argumenten, zum anderen Einsicht, wie heute öffentliche Debatten tatsächlich geführt werden.

Der Argumentation steht die Rhetorik gegenüber; sie sollte eigentlich erst dann zu Wort kommen, wenn die rationale Argumentation nicht mehr weiterkommt. Dies ist häufig der Fall, insbesondere wenn bei einer Entscheidungsfindung Werturteile beteiligt sind, die sich nicht objektiv begründen lassen. In solchen Fällen bleibt keine andere Möglichkeit, als in einem meinungsbildenden Prozess hauptsächlich mit Hilfe rhetorischer Mittel zu einer Entscheidung zu gelangen. Allerdings macht es immer einen qualitativen Unterschied aus, ob jemand seine Position aufgrund seiner Rhetorik oder aufgrund der Überzeugungskraft seiner Argumente durchsetzen kann.

"Kultur und Kulturbegegnung"

Das wissenschaftliche Erkenntnisideal ist das Ergebnis eines wissenschaftsgeschichtlichen Prozesses und besitzt kulturelle Voraussetzungen. Ohne die philosophischen Denker der griechischen Antike hätte die Geschichte der Wissenschaften einen anderen Verlauf genommen. Die Wirkung kultureller Traditionen wird bis heute unterschätzt. Unbemerkt und daher unreflektiert beeinflussen sie unser Denken und Verhalten. Unaufgeklärtheit über die geschichtlich-kulturellen Prämissen, die den jeweils eigenen kulturellen Standort determinieren, stellt ein Haupthindernis gelingender interkultureller Kommunikation dar. In der sich globalisierenden Welt gewinnt die interkulturelle Kompetenz eine immer größere Bedeutung und damit den Rang einer Schlüsselkompetenz.

Da wir Wirklichkeit immer nur im Deutungsrahmen der eigenen kulturellen Traditionen erfahren, ist es eine vorrangige Aufgabe der Wissenschaften, insbesondere der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, die verborgene Abhängigkeit von kulturellen Prämissen aufzuspüren. Andererseits ist die Wissenschaft ihrerseits kulturell geprägt und daher aufgefordert, ihre eigenen, unreflektierten Prämissen zu identifizieren.

"Grundfragen der Ethik"

Im Vordergrund der Arbeit stehen die Fragen, die sich in und aus den Wissenschaften ergeben. Bei der Bestimmung des Verhältnisses von Ethik und Wissenschaft ist in einem ersten Schritt die Frage zu klären, ob sich Ethik ihrerseits als Wissenschaft begründen lässt. Diese Frage wird im Allgemeinen negativ beantwortet. Ethik ist keine Wissenschaft unter Wissenschaften. Das Normative stellt eine grundsätzliche Grenze von Wissenschaft dar. Der jeweils verbindliche normative Kanon ist primär kulturell begründet.

Wissenschaft und Forschung werfen gerade aufgrund ihrer Erfolge eine wachsende Zahl ethischer Fragen und Problemen auf. Sie orientieren sich zumeist an dem Grundsatz, dass nicht alles, was ihnen möglich ist, ihnen auch erlaubt ist. Wo und wie die Grenze zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen verläuft, ist eine Frage, die immer neu analysiert und bestimmt werden muss.

Ethik in den Wissenschaften ist per se interdisziplinär. Dies führte zu einer Vielzahl bereichsspezifischer Ethiken, von der Ethik in den Biowissenschaften und der Medizinethik über Rechtsethik, Umweltethik und Wirtschaftsethik bis zur Medienethik und Sportethik, um nur eine Auswahl zu nennen. – Gerade wegen dieser Auffächerung der Ethik in eine Vielzahl von Unterdisziplinen ist es wichtig, die maßgebenden ethischen Begründungsansätze und Positionen, die Hauptbegriffe und die wichtigsten Theorien zu vermitteln.

Publikationen zur interdisziplinären Themen